Statement zum Krieg in der Ukraine

Die Ereignisse rund um den Krieg in der Ukraine überschlagen sich. Als Revolutionär*innen versuchen wir uns darin zu orientieren und eine Position zu finden.

Die Ereignisse in der Ukraine

Seit dem 24. Februar führt der russische Staat eine Militäroffensive gegen die Ukraine. Ein riesiges Gebiet wird mit Krieg und Zerstörung überzogen. Es gibt Anhaltspunkte, dass Russland von einem Blitzkrieg ausging, also von einer Kapitulation der Ukraine innert weniger Tage. Dieses Szenario wurde bereits verfehlt und es zeichnet sich ein langandauernder Krieg ab.

Die EU hat erstmals in ihrer Geschichte Geld für Waffenlieferungen gesprochen. Mit 500 Millionen kauft sie Waffen für die Ukraine, darunter auch Kampfjets. Von zahlreichen Staaten der EU, sowie der USA werden zusätzlich Waffen geliefert.

Russland rückt langsam vor. Zahlreiche Wohngebiete wurden bereits verwüstet, hunderte Zivilist*innen getötet und über eine Million Menschen in die Flucht getrieben.

Die Ukraine verweigert Männern zwischen 18 und 60 Jahren die Flucht, sie werden gezwungen dem Militär beizutreten. Viele bleiben jedoch freiwillig um ihre Heimat gegen die Invasoren zu verteidigen. Innerhalb der ukrainischen Streitkräfte kämpfen ganze Neonazi-Regimente (z.B Azov), doch auch Anarchist*innen und Antifaschist*innen haben sich dem bewaffneten Kampf gegen die Invasion Russlands angeschlossen. Zudem gibt es auch einen zivilen Widerstand gegen die Besatzung.

Imperialistische Konkurrenz

Entgegen der westlichen Öffentlichkeit ist Putin nicht aus irrationalen Gründen in die Ukraine einmarschiert. Die Invasion Russlands findet im Kontext eines sich zuspitzenden imperialistischen Konkurrenzkampfes statt. Die aktuelle Krise des kapitalistischen Systems, ausgelöst durch die Weltwirtschaftskrise 2008, hat sich durch die noch nicht absehbaren Auswirkungen der Corona-Krise weiter verschärft. Der Kampf kapitalistischer Staaten und Staatenverbünde um Ressourcen, Märkte und Einflusssphären wird immer aggressiver geführt und die eigenen Interessen werden wieder vermehrt militärisch durchgesetzt. Wir sehen dies beispielsweise auch im Krieg in Syrien wo verschiedene imperialistische Mächte um Einfluss ringen. Der Krieg als Mittel zur Interessendurchsetzung war und ist Teil des kapitalistischen Systems.

Der Einmarsch in der Ukraine ist Ausdruck eines imperialen Anspruchs, den Russland besonders im ehemalig sowjetischen Raum geltend machen will. Russischsprachige Länder in der gesamten ehemaligen Sowjetunion sollen entweder einem sicheren Bündnis mit Russland angehören oder direkt von Russland regiert werden.

Russland versucht seit 2014 eine eurasische Zollunion zu errichten, um seinen ökonomischen Einflussbereich im postsowjetischen Raum zu sichern und um einen Machtblock zwischen der EU und China aufzubauen. Dieser Einflussraum befindet sich in einer Krise, wie z.B. die Aufstände in Kasachstan und Belarus gezeigt haben.

Seit dem Zerfall der Sowjetunion haben sich die Nato und die EU weiter nach Osten ausgedehnt. Viele Länder, die einst Teil der Sowjetunion waren sind heute NATO-Mitglieder. Die Moskau-treuen Eliten wurden abgelöst von Eliten, die sich von einer Westanbindung Profite erhoffen. Die EU wiederum sieht in der Ukraine gute Investitionsbedingungen für europäisches Kapital.

Die Ukraine ist von grosser geostrategischer Bedeutung. Als 2014 Massenproteste auf dem Majdan ausbrachen, wurden diese schnell vom Westen unterstützt. Der Aufstand richtete sich gegen die autoritäre Herrschaft der Russland-treuen Clique um Janukowytsch. Letztere versuchte ihre Macht mit brutaler Gewalt zu verteidigen, wurde aber von der Bevölkerung gestürzt.

Die militante Speerspitze des Protest bildeten organisierte Faschist*innen des «Prwayj Sektor» (Rechter Sektor). Die neue Regierung verfolgte einen nationalistischen und einen pro-westlichen Kurs und wurde durch Kredite und dazugehörige Bedingungen eng an den Westen gebunden.

Der neue antirussische Kurs beunruhigte nicht nur Russland, sondern auch viele russischsprachige Menschen im Südosten (Donbass) des Landes, der ökonomisch und kulturell stark an Russland gebunden ist. Es entstand eine Bewegung von unten, welche sich gegen die ökonomischen und nationalistischen Kurs der Zentralregierung stellte.

Die Reaktion Russlands auf diese neue Situation war schon 2014 eine militärische. Es folgte die Besetzung der Krim und die Stärkung separatistischer chauvinistischer Kräfte im Donbass.

Für Putin geht es mit der momentanen Grossoffensive um ein Jetzt oder Nie. Die Ukraine kippt komplett weg – und mit ihr droht die weitere Erosion des russischen Einflussbereiches. Mit der Invasion soll eine pro-russische Regierung installiert werden und auch andere angrenzende Staaten abgeschreckt werden, was ihnen drohen kann, wenn sie sich von Russland abwenden.

Internationalismus statt Nationalismus

Die ukrainische Bevölkerung trägt das Leid eines brutalen Krieges. Auf der ganzen Welt gehen viele Menschen gegen den Krieg auf die Strasse und auch wir positionieren uns klar für einen Abzug der russischen Besatzungstruppen. Das bedeutet aber nicht, sich auf die Seite unserer Regierungen oder nationalistischer Kräfte zu schlagen. Vielmehr stellen wir uns klar gegen jeden Imperialismus und Nationalismus.

Am Beispiel des Westens und Südostens der Ukraine kann man gut sehen, wie seit dem Majdan, Bewegungen mit ursprünglich sozialen Forderungen von chauvinistischen Kräften übernommen wurden.

Weder ein aggressiver nach Westen orientierter ukrainischer Nationalismus, der faschistische Kriegskollaborateure verehrt und einen antirussischen Rassismus forciert, noch ein prorussischer und chauvinistischer Separatismus können den Menschen in der Ukraine Frieden bringen.

Auch jetzt gehen in Russland trotz grosser Repression tausende Menschen gegen den Krieg auf die Strasse. Beispielsweise kämpfen dutzende feministische Kollektive vereint gegen den Krieg. Sie tun dies aus Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und im Wissen, dass der Krieg immer auf Kosten der unteren Klassen geführt wird und eine Zunahme patriarchaler Gewalt mit sich bringt.

Es sind nicht die Reichen und Mächtigen Russ*innen welche in den Krieg geschickt werden oder durch wirtschaftliche Sanktionen verelenden.

Die Verteidigung von Nation und Vaterland bedeutet immer und überall die Verteidigung des Kapitalismus und die Bejahung staatlicher Machtpolitik. Wir kämpfen internationalistisch gegen Herrschaft und Ausbeutung und nicht für die Aufrechterhaltung eines Nationalstaates, welcher auf der Unterdrückung von Bevölkerungsteilen und dem Ausschluss gegen Aussen beruht.

Kriegsstimmung in Europa

In Europa wird zurzeit neben der wichtigen Solidarisierung mit der ukrainischen Bevölkerung eine nationalistische Stimmung des Aufrüstens geschaffen. Russland soll in die Knie gezwungen werden. In Deutschland stellt die Bundesregierung 100 Milliarden für die Aufrüstung der Bundeswehr bereit – zum Vergleich die jährlichen russischen Rüstungsausgaben belaufen sich auf ca. 63 Milliarden – und will zur führenden Militärmacht in Europa werden.

In der Schweiz wird eine Rücknahme der Initiative gegen die F35 Kampfflugzeuge und eine allgemeine Aufrüstung der Armee gefordert.

In den letzten Tagen häufen sich die Stimmen, die das Errichten einer Flugverbotszone über der Ukraine einfordern. Dies hätte einen direkten Krieg zwischen Atommächten zufolge und würde eine, die Menschheit bedrohende, Eskalation des Konfliktes bedeuten.

Es ist erschreckend zu sehen, wie viele europäische Medien und Menschen sich derzeit einem antirussischen Rausch hingeben und die grosse Einheit, die „wir“ nun alle gegenüber Putin haben zelebrieren: Coop und Globus verbannen Vodkas aus ihren Läden und russische Klassiker werden aus Universitätsvorlesungen verbannt.

Diese Stimmung nährt den bereits vorhandenen antirussischen Ressentiments in der europäischen Bevölkerung und hat bereits jetzt negative Folgen für die russische Diaspora: deutsche Restaurants boykottieren russische Gäste und ein Arzt einer Zürcher Klinik verweigert einem russischen HIV-Patienten die Behandlung.

Von solch einer Kriegsstimmung profitieren Nationalist*innen, die hiesige Rüstungsindustrie, die hiesigen Kriegstreiber und die herrschende Klasse im Allgemeinen.

Sanktionen gegen die russische Bevölkerung

Auch die Forderung nach Sanktionen aller Art gegen Russland sind Ausdruck der „wir gegen sie“ Stimmung im Westen. Umfassende wirtschaftliche Sanktionen gegen die russische Wirtschaft im Allgemeinen wie die Abtrennung Russlands von SWIFT oder das Einfrieren von Zentralbankguthaben führen zu Hyperinflation und Engpässen bei wichtigen Importen, auf die Millionen Russ*innen angewiesen sind. Diese Sanktionen haben das Ziel die russische Bevölkerung verelenden zu lassen, damit sie Druck auf das Regime in Moskau aufbauen. Die Leidtragende einer solchen Politik ist die russische Bevölkerung und sie führt in einem autoritären Regime mitnichten automatisch zu einem Regimewechsel.

Zudem haben bereits jetzt der Krieg und westliche Sanktionen zu Versorgungsengpässen von Getreide in afrikanischen Ländern geführt. Die Ukraine und Russland sind zusammen für 30% der globalen Weizenexporte verantwortlich. Die Produktion und die Ausfuhr von Weizen und anderen Rohstoffen ist nun erheblich gestört. Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland werden in vielen Ländern zu massiven Erhöhungen der Nahrungsmittelpreise, Versorgungsengpässen und potenziellen Hungersnöten führen. Die globale Krise wird dadurch weiter verstärkt.

Solidarität statt Rassismus

Die Forderung nach der Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten ist wichtig und richtig. Es ist bestärkend zu sehen wie viele Menschen am Leid der ukrainischen Bevölkerung Anteil nehmen und für sie einstehen. Es ist die Verantwortung der europäischen Staaten, Geflüchtete aufzunehmen. Dies gilt allerdings nicht nur für ukrainische Geflüchtete, sondern für alle Menschen, welche ihre Heimat verlassen. Sei dies, weil sie vor Kriegen, Verfolgung oder aus ökonomischen Gründen flüchten.

Diejenigen westlichen Staaten, welche nun von bedingungsloser Solidarität sprechen, sind genau diejenigen, welche die nationalen Asylgesetze immer weiter aushöhlen, die Aussengrenzen Europas militarisieren und Abkommen zur „Flüchtlingsabwehr“ mit Diktatoren in Libyen und der Türkei aushandeln.

Nein zur NATO

Wir stellen uns entschieden gegen die heuchlerische Solidarität der politischen und ökonomischen Eliten im Westen. Ihnen geht es nicht um die Verteidigung „westlicher Werte“ wie Demokratie oder dem Völkerrecht, es geht um die Durchsetzung der eigenen Interessen.

Der „Weltpolizist“ USA ist allein im völkerrechtswidrigen Irak- und Afghanistankrieg für den Tod von hunderttausenden Menschen verantwortlich.

Das NATO Mitglied Türkei – ein faschistisches Regime – führt seit Jahren einen Besatzungskrieg in kurdischen Gebieten unter gehöriger ökonomischer Unterstützung des Westens. Genau dieser Erdogan wird nun als Partner Europas im Kampf gegen die russischen Aggressoren gefeiert.

Wenn wir sagen, dass die NATO ein Kriegsbündnis ist, dann nicht um den Einmarsch in der Ukraine zu relativieren, sondern um klar zu machen, dass die NATO der militärische Apparat des westlichen Imperialismus ist und eine militärische Intervention des Westens nur noch mehr Barbarei und Zerstörung zur Folge hätte. Die Aufrüstung imperialistischer Kriegsmaschinen, die Zuspitzung des Ost-West Konflikts führt nur zu mehr Krieg und Elend.

Den Frieden müssen wir als internationalistische, antimilitaristische Antikriegsbewegung erkämpfen. Wir können ihn nicht Seite an Seite mit den Herrschenden, egal ob im Westen oder im Osten erkämpfen. Wir müssen in unseren Ländern die Systemfrage stellen, uns mit sozialen Bewegungen verbinden und uns internationalistisch vernetzen.

  • Wir fordern einen sofortigen Abzugs aller russischer Besatzungstruppen aus der Ukraine
  • Wir solidarisieren uns mit der Bevölkerung in der Ukraine und der Antikriegsbewegung in Russland
  • Wir stellen uns gegen eine Intervention der NATO und gegen die weltweite Militarisierung und Aufrüstung
  • Wir fordern die Öffnung der EU Aussengrenzen und die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine und aus der ganzen Welt
  • Wir fordern keine umfassende Sanktionen gegen Russland, sondern nur Gezielte, die Regierung und die Eliten in Russland treffen.

Für den Aufbau einer internationalistischen revolutionären Antikriegsbewegung!